3. Missverständnis: Menschen mit Schwerbehinderung anzustellen, ist zu teuer
Tatsächlich ist es für Unternehmen teurer, wenn sie Menschen mit Schwerbehinderung nicht einstellen. Zwar müssen Menschen mit Behinderungen grundsätzlich nicht bevorzugt eingestellt werden, ein inklusives und innovatives Unternehmen sollte allerdings eine jeweils angemessene Quote im Blick haben (§ 154 SGB IX):
Unternehmen, die ihre gesetzlich vorgeschriebene Anzahl an Arbeitsplätzen für Menschen mit Behinderung nicht erfüllen, zahlen eine sogenannte Ausgleichsabgabe. Die Höhe dieser Abgabe hängt von der Anzahl der unbesetzten Pflichtarbeitsplätze ab. Ziel der Regelung ist nicht die Bestrafung von Arbeitgebenden, sondern das Schaffen von Anreizen, um aktiv zur Inklusion im Arbeitsleben beizutragen.
4. Irrtum: Menschen mit Schwerbehinderung müssen ihre Arbeitgebenden über ihre Behinderung informieren
Der Arbeitgebende darf im Rahmen eines Bewerbungsgesprächs oder eines Anstellungsverhältnisses nicht nach einer Schwerbehinderung fragen. Tut er es trotzdem, ist das Gegenüber nicht dazu verpflichtet, eine Schwerbehinderung anzugeben. Dies gilt unter der Voraussetzung, dass sie ihren Aufgaben uneingeschränkt nachkommen können. Nur wenn die Behinderung die Arbeitsausführung beeinflusst oder dadurch sogar eine Gefahr für andere Mitarbeitende entstehen könnte, besteht die Informationspflicht (§ 123 BGB).
Bsp 1: Erika Mustermann leidet an Morbus Crohn, einer chronisch-entzündlichen Darmerkrankung. Da diese ihre Arbeit als Assistentin der Geschäftsführung allerdings nicht beeinträchtigt, muss sie im Bewerbungsverfahren keine Angaben zu ihrer Behinderung machen. Wird sie trotzdem danach gefragt, ist sie rechtlich sogar dazu berechtigt, die Frage nicht wahrheitsgemäß zu beantworten.
Bsp. 2: Max Mustermann bewirbt sich als Tischler, leidet aber an einem Taubheitsgefühl in Armen und Händen. Dies erschwert ihm die Ausübung seines Handwerks ohne Hilfsmittel. Wird er daher im Bewerbungsverfahren gefragt, ob gesundheitliche Gründe seiner Tätigkeit im Weg stehen, muss er offen darüber sprechen.
Die Offenlegung einer Behinderung ist sehr persönlich und braucht eine vertrauensvolle Atmosphäre. Arbeitgebende können viel dazu beitragen, dass sich Bewerbende ausreichend wohl fühlen, um offen über ihre Bedürfnisse zu sprechen. myAbility empfiehlt hier, folgende Frage an Bewerbende zu stellen: „Welche Rahmenbedingungen benötigen Sie, um gut arbeiten zu können?“ oder „Wie muss Ihr Arbeitsplatz ausgestattet sein, damit sie sich voll auf Ihre Aufgaben konzentrieren können?“
Tipp: Sie möchten wissen, wie ein barrierefreier Bewerbungsprozess gelingt – von der Stellenausschreibung bis zum Onboarding? In unseren myAbility-Recruiting Trainings erhalten Sie praxisnahe Impulse, wie Sie inklusive Prozesse gestalten und Talente mit Behinderungen gezielt und authentisch ansprechen können.
5. Mythos: Menschen mit Schwerbehinderung müssen bei Bewerbungen bevorzugt eingestellt werden
Menschen mit Schwerbehinderung haben keinen automatischen Anspruch auf einen Job. Verantwortungsvolle Arbeitgebende sollten jedoch bei jeder Stellenbesetzung genau prüfen, ob sich eine Person mit Schwerbehinderung dafür eignet. Dies gilt insbesondere, wenn diese bei der Agentur für Arbeit gemeldet ist. Fachliche Qualifikation und Leistung hängen schließlich nicht von der Schwerbehinderung ab.
Öffentliche Arbeitgebende hingegen sind von Gesetzes wegen sogar dazu verpflichtet, Bewerbende mit Behinderung zu einem Vorstellungsgespräch einzuladen. Voraussetzung dafür ist die nötige Qualifikation der Bewerbenden für die jeweilige Stelle (§ 164 SGB IX und § 165 SGB IX).
6. Irrtum: Das Team fühlt sich mit Kolleg:innen mit Schwerbehinderung unwohl oder überfordert
Eine solche Annahme basiert häufig nur auf mangelnder Erfahrung im Umgang mit Kolleg:innen mit Behinderung. Eine offene Kommunikation und gezielte betriebliche Sensibilisierungsmaßnahmen können hierbei helfen, um mögliche Berührungsängste im Team abzubauen und ein produktives Miteinander zu fördern.
Dass das solche Maßnahmen positive Auswirkungen haben, belegen Studien des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) und von Aktion Mensch aus dem Jahr 2024: Menschen mit Behinderung fühlen sich in ihrem Arbeitsumfeld in der Regel nicht nur gut aufgehoben, sondern auch aktiv unterstützt. Dies deutet auf ein gesteigertes Engagement des gesamten Teams hin. Von einer solchen Atmosphäre profitiert am Ende wiederum das Unternehmen als Ganzes. Denn die vielfältige Zusammensetzung von inklusiven Teams führt mitunter zu bemerkenswerten Ergebnissen in Projekten. Menschen mit Behinderungen bringen oft einzigartige Perspektiven und Problemlösungskompetenzen mit, die die Teamdynamik bereichern und innovative Lösungen begünstigen.
7. Missverständnis: Menschen mit Schwerbehinderung dürfen keine Überstunden schieben
Es gibt keine pauschale Regel, die Überstunden grundsätzlich verbietet. Allerdings haben Menschen mit Schwerbehinderung das Recht, sich von sogenannter Mehrarbeit freistellen zu lassen. Das bedeutet: Sie dürfen Überstunden ablehnen, ohne Nachteile befürchten zu müssen (etwa bei der Bewertung ihrer Leistung oder hinsichtlich einer Beförderung). Als Mehrarbeit zählt dabei alles, was über die gesetzliche Regelarbeitszeit von acht Stunden pro Tag hinausgeht – unabhängig davon, ob der Arbeitsvertrag davon abweicht (§ 124 SGB IX und § 207 SGB IX).
Überstunden sind also möglich, aber kein Muss. Schutzrechte wie diese sorgen dafür, dass Menschen mit Schwerbehinderung selbstbestimmt und gesundheitsschonend arbeiten können, ohne sich ständig rechtfertigen zu müssen.
8. Irrtum: Menschen mit Schwerbehinderung haben uneingeschränkt Anspruch auf Teilzeitbeschäftigung
Richtig ist, dass viele Menschen mit Behinderungen gerne in Teilzeit arbeiten wollen oder können. Daher kann man sich als inklusives Unternehmen positionieren, indem man Stellen auch flexibel mit der Möglichkeit auf Teilzeit ausschreibt. Beschäftigte mit Schwerbehinderung haben ansonsten tatsächlich nur dann ein Recht auf Teilzeitarbeit, wenn ihre Behinderung eine kürzere Arbeitszeit aus gesundheitlichen Gründen notwendig macht. Als Nachweis kann ein ärztliches Attest dienen (§ 164 SGB IX). Es handelt sich hierbei also um eine individuelle Lösung und keine pauschale Regel.
Unabhängig davon gilt für alle Arbeitnehmenden – ob mit oder ohne Behinderung – das Recht auf eine zeitlich beschränkte Verringerung der Arbeitszeit (sogenannte Brückenteilzeit). Voraussetzungen dafür sind, dass das Arbeitsverhältnis länger als sechs Monate besteht und der Arbeitgebende mehr als 15 Mitarbeitende beschäftigt (ausgenommen Auszubildende).
9. Mythos: Menschen mit Schwerbehinderung bekommen eine Woche mehr Urlaub
Tatsächlich haben Mitarbeitende mit Schwerbehinderung Anspruch auf zusätzlichen Urlaub, allerdings kommt es dabei auf das individuelle Arbeitsausmaß an. Die Anzahl der zusätzlichen Urlaubstage berechnet sich nach den wöchentlichen Arbeitstagen. Pro Arbeitstag in der Woche kommt ein zusätzlicher Urlaubstag dazu (§ 208 SGB IX). Das bedeutet konkret:
Besteht die Schwerbehinderung oder das Arbeitsverhältnis nicht über ein volles Jahr, wird der Zusatzurlaub anteilig berechnet: Der Mitarbeitende erhält je ein Zwölftel pro vollem Monat.
10. Missverständnis: Menschen mit Schwerbehinderung zu kündigen ist kompliziert bis unmöglich
Beschäftigte mit Schwerbehinderung haben nach Ablauf der Probezeit einen besonderen Kündigungsschutz, können aber trotzdem gekündigt werden. Bei diesem besonderen Kündigungsschutz handelt es sich nicht um einen ‚Freifahrtschein‘, sondern um eine wichtige Schutzmaßnahme. Menschen mit Schwerbehinderung sollen dadurch vor Benachteiligung geschützt werden und sich auf ihren Arbeitsplatz verlassen können.
Beschließen Arbeitgebende, Mitarbeitende mit Schwerbehinderung zu kündigen, muss zunächst das Integrationsamt verständigt werden. Dieses entscheidet dann unter Berücksichtigung der Sachlage, ob eine Kündigung zulässig ist oder nicht. Ohne die Zustimmung des Integrationsamtes ist jede Kündigung (ordentlich oder außerordentlich) unwirksam (§ 168 SGB IX).