Inklusion lernen: Wie bilde ich Bewusstsein für Behinderungen im Unternehmen?

Es ist Zeit, neue Wege zu gehen und Inklusion im Unternehmen zu leben. Die Bewusstseinsbildung für das Thema "Behinderungen im Arbeitsumfeld" bei Mitarbeitenden spielt dabei eine wesentliche Rolle. Die Bedeutung dieses Themas in der heutigen Arbeitswelt und das daraus resultierende Interesse auf Unternehmensseite spiegelte sich in den Anmeldezahlen bei unserem Webinar von über 500 Personen wider.

Das vergangene Webinar des myAbility Wirtschaftsforums setzte sich sehr praktisch mit dem Thema der unternehmensweiten Bewusstseinsbildung für Behinderungen auseinander. Dabei ging es neben der strategischen Verankerung von Sensibilisierungsmaßnahmen auch stark um die direkte Umsetzung durch Schulungsangebote. Petra Pieber, Leiterin der Strategischen Personalentwicklung von der Energie Steiermark AG lieferte dabei den praktischen Teil im Sinne von Best Practice.

Zum Einstieg ins Thema gab es eine kleine Umfrage unter den Teilnehmenden. Die Frage lautete: Was verstehen Sie unter Sensibilisierung und Bewusstseinsbildung?

Das Ergebnis zeigte, dass der die Befragten mit 81 % Sensibilisierung und Bewusstseinsbildung als Aufklärung sehen. Gefolgt von 59 % die dem Kompetenzaufbau zugeschrieben werden und 52 % der Offenheit. Die Empathie wird mit 43 % am geringsten mit Sensibilisierung und Bewusstseinsbildung in Zusammenhang gebracht.

Strategische Sensibilisierung im Employee Lifecycle

Zu Beginn sprach Fides Raffel, Head of Solutions und Training bei myAbility, über die Relevanz einer strategischen Sensibilisierung im gesamten Lebenszyklus von Mitarbeitenden (Employee Lifecycle). Über 18 % der österreichischen Bevölkerung leben mit einer Behinderung, 70 % davon sind unsichtbar. Die meisten Behinderungen entwickeln Betroffene im Laufe ihres Erwerbslebens. Zusätzlich wächst der wirtschaftliche Druck durch die Gesetzgebung mit beispielsweise dem Barrierefreiheitsgesetz  wodurch Unternehmen das Thema vermehrtvermehrt, strategisch angehen.

Fides sieht die Begeisterung und Empathie für das Thema als treibende Kraft für Sensibilsierung. Dabei spielen AHA-Momente eine wichtige Rolle. Es müssen Personen in allen Bereichen des Unternehmens dafür begeistert werden und sich mit dem Thema Behinderungen am Arbeitsplatz auseinanderzusetzen. Die Bewusstseinsbildung in allen Stadien des Mitarbeitendenlebenszykluses ist dabei entscheidend.

 

Es beginnt bereits bei der Suche nach Talenten und der richtigen Ansprache potenzieller Arbeitnehmender mit Behinderungen. Geschult werden die Personen, die Stellenausschreibungen verfassen und schalten, damit sich Menschen mit Behinderungen angesprochen fühlen und bewerben. Zusätzlich gilt es über die rechtlichen Rahmenbedingungen aufzuklären, damit Unsicherheiten als Hürden verhindert werden. In Folge werden Barrieren im Kopf der Recruiter:innen reflektiert und abgebaut.

Im Onboarding sollen alle neuen Mitarbeiter:innen erfahren, welche Möglichkeiten und Anknüpfungspunkte im Unternehmen für Menschen mit Behinderungen existieren, wie beispielsweise Arbeitsplatzanpassungen. Diese Grundsensibilisierung wird in der Entwicklung und dem Verweilen der Arbeitnehmenden durch weitere Schulungen ausgebaut.

Ziel ist es, die verschiedenen Zielgruppen und Level der Mitarbeitenden im Lebenszyklus sowie in den diversen Abteilungen zu erreichen, angefangen von Recruiter:innen über die Kommunikationsabteilung bis hin zu den Führungskräften. Dabei gibt es vier Erfolgsfaktoren:

  • Zieldefinition und das Tracking
  • Sprache des Unternehmens
  • Schaffung von Verantwortlichkeiten
  • Realismus und Geduld

Anfangs ist es entscheidend zu definieren, wo das Unternehmen hin möchte und welche Sensibilisierungsbestrebungen es gibt. Eine inklusive Sprache ist maßgeblich für die optimale Ansprache auf Augenhöhe. Durch Verantwortlichkeiten werden die Personen abgeholt, die direkt an der Umsetzung beteiligt und tonangebend sind. Ein Kulturwandel im Unternehmen ist ein Prozess, der schlussendlich Zeit und Geduld erfordert. Es gilt also geduldig dranzubleiben, Verantwortlichkeiten zu schaffen und eine inklusive Sprache als essenzielles Tool optimal zu nutzen.

Umsetzung ganzheitlicher Inklusionsstrategie

Petra Pieber arbeitet seit 2016 als Leiterin der strategischen Personalentwicklung bei der Energie Steiermark AG mit mehr als 2.000 Mitarbeitenden. Sie verfolgt Diversität und Inklusion auf einem sehr strategischen Ansatz, um als Arbeitgebender attraktiv nach außen und innen zu sein. Es gilt Talente zu erreichen, im Unternehmen gut zu begleiten und schließlich auch zu halten.

2017/18 begann die Energie Steiermark mit der strategischen Ausrichtung des Themas Inklusion von Menschen mit Behinderungen und wurde 2023 in der Steiermark mit dem Austrian Leading Company Inklusionspreis ausgezeichnet. Der Prozess wurde auf Teamebene initiiert, wobei das von Petra Pieber angeführte Team in Zusammenarbeit mit myAbility innerbetrieblich 35 Interviews mit Expert:innen durchführte. Es wurde der Status quo erfasst und daraus ergab sich die Ableitung einer ganzheitlichen Unternehmensstrategie. Im ersten Schritt lag der Fokus auf der Sensibilisierung durch den Aufbau von Know-how, dabei war die Unterstützung durch den Vorstand enorm wichtig. Da ein Vorstandsmitglied persönlich betroffen ist, gibt es hier eine starke intrinsische Motivation, die äußerst hilfreich ist. Anschließend wurden unterstützende Prozesse herausgefiltert, Verantwortlichkeiten geschaffen und Kommunikationsstrategien mittels inklusiver Sprache erstellt. Abgerundet wurde das Ganze durch eine innerbetriebliche Vernetzung inklusive mit Hilfe bereits etablierten Plattformen wie beispielsweise das Intranet.

Anfangs setzte die Energie Steiermark auf eine offene Anmeldung zu den Sensibilisierungstrainings, doch die Nachfrage hielt sich vorerst in Grenzen. In weiterer Folge wurde sie als integrativer Bestandteil bei allen Nachwuchskräfte-Entwicklungs-Programmen, Führungs-Programmen sowie ab 2024 für alle neuen Mitarbeitenden im Zuge ihres Unternehmenseintritts implementiert.

Wird die Behinderung bereits während des Rekrutierungsprozesses offengelegt, kann sofort internes Expertenwissen, etwa bezüglich der Anpassung des Arbeitsplatzes, einfließen. Dies ermöglicht es, Talente bestmöglich zu integrieren und einen optimalen Start in ein mögliches Beschäftigungsverhältnis zu gewährleisten. Zur Standardisierung werden alle relevanten Informationen rund um das Thema Behinderungen und Inklusion gebündelt und im Intranet bereitgestellt. Der Austausch erfolgt in verschiedenen thematischen Arbeitsgruppen, einschließlich der Gruppe für Diversität und Inklusion, und schließt auch die Beteiligung des Betriebsrates mit ein.

Petra Pieber setzt dabei auf Leuchtturmprojekte, um inklusive Teams gut zu begleiten. Als Beispiel dafür nannte sie eine teilqualifizierte Lehre im Büro der Energie Steiermark, wobei auch alle extern beteiligten Einrichtungen wie Job-Coaches und die Berufsschule miteingebunden werden. Als Schlüssel zum Erfolg nannte sie den Weg über die Kompetenzentwicklung entlang von Stärken, kombiniert mit Führungsverantwortlichen in den Teams mit Engagement und Begeisterung sowie die starke Einbindung von Personalentwicklung. Dadurch können Standards entwickelt und Teams laufend gut begleitet werden. Ein strategischer Start erfolgt durch ein Pilot-Inklusionsprojekt in Teams mit bereits engagierten Führungskräften, bevor es unternehmensweit ausgerollt wird.

Extern wirkt der regulatorische Druck durch ESG (Environment, Social, Governance) und SDGs (Sustainable Development Goals) im Sinne der nachhaltigkeitsbezogenen Verantwortungsbereiche gegenüber der Umwelt, dem Sozialen und in der Unternehmensführung inklusive den 17 globalen Nachhaltigkeitszielen der United Nations als großer Treiber. Das macht es zu einem wirtschaftlich relevanten Thema, da Finanzierungen bei Nichteinhaltung schwieriger werden.

Training als Ort der Sensibilisierung

Elisabeth Prinz lebt selbst mit einer Gehbehinderung, arbeitet bei myAbility als DisAbility Trainerin und führt in ihrer Funktion Trainings zur Sensibilisierung für das Thema Behinderungen durch. Sie spricht bei Sensibilisierung von einem Lernprozess, indem Trainings als offener Lernraum zum Verstehen, Wahrnehmen und Erleben fungieren. Die Verhaltenspsychologie definiert Lernen als Änderung des Verhaltens, Denkens und Fühlens aufgrund von Erfahrungen oder neu gewonnener Einsichten mittels “Kopf und Emotionen” sowie der inneren Haltung.

Trainings zur Bewusstseinsbildung beinhalten einen Wissensteil zur Aufklärung inklusive der wesentlichen Definitionen, Zahlen, Daten und Fakten. Auf der kognitiven Ebene wird mittels Sprache gearbeitet. Der Praxisteil macht den Lernprozess auf der affektiven Ebene wahrnehmbar, durch den direkten Austausch bei der Sensing Journey® mit Menschen mit Behinderungen als Expert:innen in eigener Sache.

Fraiming fungiert als erster Schritt zur Veränderung, durch die Umrahmung kann das Thema in den Köpfen der Teilnehmenden neu eingebettet werden. Es geht dabei um die Definition von Begrifflichkeiten wie beispielsweise „Behinderungen“. Ein wertschätzender Rahmen gilt als wichtige Voraussetzung für einen offenen Lernraum durch inklusiven Sprachgebrauch. Dadurch können Teilnehmende umgehend nach den Trainings selbst positive Impulse setzen.

„Um Inklusion zu lernen, braucht es einen Ort, an dem sie erlebbar ist.“

Das Verstehen von Zusammenhängen und Konzepten plus die Wertschätzung von Menschen mit Behinderungen und deren Perspektive bilden den Kompetenzaufbau. Nach der Bloom’schen Taxonomie als Ordnungsmodell basiert dieser auf drei Dimensionen (Benjamin Bloom, 1956).

Ein planbarer Lernprozess mittels Abfolge von Lernstufen, wobei jede Stufe ein Lernniveau mit zunehmendem Schwierigkeitsgrad repräsentiert, hilft dabei das richtige Kompetenzniveau im Lernprozess anzusteuern. Die Stufen starten beim Erwerb faktischen und theoretischen Wissens, das durch Erinnerung abrufbar ist und gehen über das Verständnis von Zusammenhängen bis hin zur Entwicklung von Problemlösungsfähigkeiten. Durch die Formulierung der Lernergebnisse kann man den Kompetenzaufbau steuern. Die Bausteine Aufklärung, Empathie, Kompetenzaufbau und Offenheit sind durch Lernergebnisse in den Trainings abgebildet und werden gezielt angesteuert und das Bewusstsein und schließlich Inklusion zu fördern.

DisAbility Awareness Trainings vor Ort oder online bilden die Basis für den gezielten und differenzierten Aufbau von Kompetenzen im Unternehmen im Sinne von Sensibilisierung. Recruiting Training, HR-Training oder individuelle Module bauen darauf in weiterer Folge auf.

Mit freundlicher Unterstützung

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